Da reiben sich gerade so viele die Hände, daß man eigendlich ein
beständiges Rauschen hören müsste. Die Idee, das Thema
Kinderpornografie als Popanz vorzuschicken, um das nun geplante
Internet-Zensursystem einzuführen war aber auch wirklich eine richtig
gute. Hat das ja zuvor mit den Themen Terrorismus und
Internet-Kriminalität nicht wirklich hingehauen, kann man hier
spitzenmäßig mit dem Holzhammer wedeln und Kritiker einfachst
diffamieren, indem man die eigentliche Kritik ignoriert und ihnen
vorwirft, sie wollten die Verbreitung von Kinderpornografie schützen.
Wie schnell schon der Vorwurf zum beruflichen und gesellschaftlichen
Tod führen kann, zeigte man nur wenige Wochen zuvor ja schonmal
anschaulich am Exempel Tauss (der übrigens natürlich nicht im Netz
"erwischt" wurde, sondern über Handykontakte und DVDs per Post).
Aber ich schweife schon wieder – wie es durch die Wahl dieses Themas ja auch gewünscht ist – ab.
Denn das Problem, das die Kritiker haben, ist ja natürlich nicht, daß
man den Zugang zu Kinderpornografie sperren will, sondern das
Sperrinstrumentarium, das man dazu baut. Schaut man sich das an, merkt
man schnell: Es geht nicht um Kinderpornos und wie man dagegen vorgeht.
Ging es nie.
Es geht um die Installation eines generellen technischen Systems und
die generelle Art und Weise, wie es betrieben wird: Es geht darum, daß
eine waschechte, diesen Namen zu Recht tragende, Zensur
ermöglicht wird. Auch wenn die zunächst gesperrten Websites tatsächlich
nur Kinderpornografie beinhalten (was die Liste eigentlich extrem kurz
halten müsste) wäre sowohl die Technik, die Verwaltung und sogar die
Psychologie installiert, um sofort eine effektive Zensur betreiben zu
können.
Technik
Die Provider sollen ihre Nameserver so umbauen, daß Webseiten, die das
BKA aussucht und ihnen nennt, nicht erreichbar sind und dem Nutzer bei
Aufruf stattdessen eine Sperrseite angezeigt wird. Gleichzeitig soll
das BKA jederzeit abrufen könne, welche Nutzer auf Webseiten aus dieser
Liste zugreifen wollten und stattdessen auf die Sperrseite geleitet
wurden.
Ein normaler Internetnutzer, der seinen Nameserver nicht auf einen
freien DNS-Server umstellt, sieht bestimmte Seiten nicht und erhält die
Mitteilung, er wolle sich gerade Kinderpornografie ansehen. Ob das
stimmt, weiß er nicht und nachprüfen darf er das auch nicht, da ja schon die Suche nach Kinderpornografie strafbar
ist. Der Nutzer muss sich in diesem Moment weiterhin im Klaren sein,
daß er gerade etwas getan hat, was das BKA als illegal ansieht und als
Grund ansehen kann, gegen ihn vorzugehen.
Die allein schon technisch verursachten Risiken für jeden
Internetnutzer sind immens, noch dazu, weil man damit auch noch eine
perfide Beweisumkehr eingebaut hat: Sie müssen künftig ihre Unschuld
beweisen, z.B. daß sie "versehentlich" die gesperrte Seite angesteuert
haben. Viel Spaß beim Versuch, Richtern TinyUrls, iFrames,
Rootkitangriffe, Hidden Scripting und so weiter zu erklären, wenn Sie
überhaupt wissen, was das ist.
Die Lösung zunächst: Den Nameserver umstellen, um sich dieser Gefahr vollständig zu entziehen. Geht schnell und kann jeder.
Die Technik ist allerdings interessanterweise das kleinste Problem in
dieser ganzen Geschichte. Es gibt Staaten, die in ihren
Zensurbemühungen schon wesentlich weiter sind. Die Menschen dort können
dennoch sowohl anonym als auch unzensiert das Internet benutzen. Das
Internet ist von Nerds
gebaut worden. Ein Staat kann da so viel fordern wie er will, er wird
das Netz auf technischer Ebene never ever kontrollieren können.
Verwaltung
Hier liegen die springende Punkte, die das Ganze zum Zensurinstrument machen:
1. Die gesperrten Inhalte stehen auf einer Liste, die das BKA direkt
und ohne Prüfungsinstanz erstellt und die die Provider möglichst ohne
sie anzuschauen zu installieren haben. Es entscheidet kein Richter über
den Inhalt, es überprüft keine unabhängige Institution über die
Rechtmäßigkeit, es gibt keine Regelung, wie Adressen überhaupt wieder
von der Liste gelöscht werden könnten. Die Polizei, die Verbrecher
verfolgt, bestimmt, welcher Wunsch nach welcher Information ein
Verbrechen ist. Vorab zu definieren, was ein Verbrechen ist und
hinterher darüber zu entscheiden, ob ein Verbrechen begangen wurde ist
aber nicht Aufgabe der Polizei.
2. Die Liste ist geheim. So lange diese Liste nicht in die
Öffentlichkeit gerät kann alles drinstehen und nichts davon muss
gerechtfertigt werden. Wer das in Frage stellt wird zum Verdächtigen.
Wie Zensur in Reinform eben funktioniert.
3. Der Gesetzentwurf ist schwammig genug, daß das BKA im Prinzip alles
in die Liste setzen kann. Da im Web jeder Inhalt nur einen Klick weiter
vom letzten entfernt ist und das Gesetz möchte, daß auch "mittelbare"
Seiten gesperrt werden können, kann somit de facto auch jede Seite gesperrt werden.
4. Das System soll die direkte Verfolgung von Zugriffen
erlauben. es wird nicht nur gesperrt, sondern es kann auch nachgeschaut
werden, wer sich die gesperrten Seiten ansehen will. Dies kann dann
Anlass für verdeckte Überwachungen, Hausdurchsuchungen und andere
existenzbedrohende Vorgänge sein.
Die Staatsanwälte dieses Landes
üben ja seit einiger Zeit kräftig an der Vorverurteilungsfront, indem
Sie inzwischen gerne mal Pressemitteilungen über eingeleitete Verfahren
rausgeben und die Presse direkt zu möglichst spektakulär und
öffentlichkeitswirksam inszenierten Verhaftungen mitnehmen (Zumwinkel,
Tauss, Frau B.).
Psychologie
Womit wir schon beim gewünschten Effekt von Zensur sind: Die Einführung der Schere im Kopf. Die wirksame Selbstzensur,
weil man nicht weiß, was eventuell passiert, wenn man zu laut und
deutlich Kritik äußert. Die Geheimhaltung der Sperrliste und ihre
völlige Unverbindlichkeit durch das Fehlen jeglicher Kontolle ist ein
bewußt eingesetzes Instrument, um Verunsicherung zu erzeugen.
Ein anderes ist die Verknüpfung mit dem Thema Kinderpornografie, womit
wir wieder am Beginn dieses Artikels wären. Man weiß ja inzwischen, daß
auch nur der leiseste Ruch, man könnte eventuell irgendwas mit
Kindesmissbrauch und Pädophilen zu tun haben, die Existenz vernichten kann, selbst wenn hinterher rauskommt, daß tatsächlich nichts an den Vorwürfen dran war. Wie nahezu generell nichts rauskommt. Das ist ein so extrem starkes und wirksames Druckmittel, was natürlich beispielsweise ein Herr Gorny sofort erkennt, weil sein
Versuch, diese Schere im Kopf einzuführen (durch den Versuch,
Filesharing als schreckliches Verbrechen zu diskriminieren),
wirkungslos blieb und er sich nun an den besser funktionierenden Trigger dranhängt (indem er Urheberrechtsverletzung mit Kindesmissbrauch gleichsetzt).
Die Justizministerin gibt dann noch Tipps in die richtigen Richtungen, die natürlich prompt reagieren.
Überhaupt, das mal ganz nebenbei, finde ich es immer wieder seltsam,
daß Frau Zypries immer wieder als Warnerin vermittelt wird. Dabei war –
so sagt sie zumindest
– sie es, die den Gesetzentwurf gegenüber dem Vorabvertrag von Frau von
der Leyen verschärfen ließ und dieser nun schon den Zugriff auf
Stopp-Seiten verfolgen lassen will.
Um die Frage zu beantworten, warum und wann es in einer Gesellschaft
überhaupt dazu kommen kann, daß ein Teil davon meint, einen solchen
Eingriff vornehmen zu müssen und der andere Teil (zu dem ich u.a. mich
zähle) darin ein so massives Unrecht sieht, das es zu bekämpfen gilt,
kann man sich bitte den Artikel "Kampf der Kulturen" drüben bei netzpolitik.org durchlesen.
Den Artikel komplett copy/pasten, ganz egal wo
wiederveröffentlichen, per Mail verschicken oder in Foren posten ist
ausdrücklich erlaubt (Bitte mich aber als Autor nennen. Ein Link
hierher wär zwar lieb, muss aber nicht.)
P.S. Ich habe eben de.wikipedia.org nicht erreicht und einen Timeout bekommen. Kann bitte mal jemand nachschauen, ob der Redirectserver vom BKA überlastet ist? Danke.