Der Zweihundertjährige von Isaac Asimov

Einer der wenigen Vorteile, die man davon hat krank zu sein:
Im Bett …

Einer der wenigen Vorteile, die man davon hat krank zu sein:
Im Bett sehr viel lesen (müssen). Genau das mache ich momentan. Neben
neuen Büchern habe ich mir auch etwas Älteres rausgekramt: Isaac Asimov.

Isaac Asimov's FoundationEs gab vor ein paar Jahren eine Sonderausgabe des Foundation Zyklus von Isaac Asimov vom Heyne Verlag. 10 Bände, gebunden, etwa Taschenbuchgröße und jeweils etwa 600-700 Seiten.

Im ersten Band "Meine Freunde, die Roboter" gibt es die liebenswerte
Geschichte des Roboters Andrew Martin (ca. 50 Seiten, zuerst
veröffentlicht 1976 als "The Bicentennal Man"). Ursprünglich als
Haushaltsroboter entworfen und der Familie Martin verkauft entwickelt
sich der Roboter mit der mit "NDR" (deswegen Andrew) beginnenden
Seriennummer immer mehr zu einem Mitglied der Familie. Er beginnt sogar
kreativ zu werden, indem er Holzstücke zurechtschnitz. Etwas vollkommen
Unerhörtes für einen Roboter. Sein Eigentümer befragt ihn dazu:

‚Haben wirklich Sie den Anhänger geschnitzt, Andrew?‘ fragte er in seiner stets etwas förmlichen Art.

‚Ja, Sir.‘

‚Auch der Entwurf stammt von Ihnen?‘

‚Ja, Sir.‘

‚Was hat Sie dazu inspiriert?‘

‚Die Maserung des Holzes, Sir. Sie verlangte nach dieser geometrischen Form.‘

[…]

‚Spaß?‘

‚Es bewirkt, daß meine Gehirnströme leichter fließen. Ich habe Sie
das Wort Spaß gebrauchen hören, und es paßt zu dem, was ich empfinde.
Es macht mir Spaß, Sir.‘

Andrew entwickelt sich immer weiter zu einer Persönlichkeit, ja er
verspürt sogar das Bedürfnis nach Freiheit und will sich freikaufen.
Der Richter fragt ihn in der Verhandlung:

‚Was könnten Sie darüber hinaus bewerkstellige, wenn Sie frei wären?‘

‚Vielleicht nicht mehr als im Moment, Euer Ehren, aber mit noch
größerer Freude. Hier in diesem Gerichtssaal wurde gesagt, daß nur ein
Mensch frei sein kann. Mir scheint jedoch, daß der frei sein kann, der
sich Freiheit wünscht. Ich wünsche mir Freiheit.‘

Und das war es, was den Richter letztlich überzeugte.

‚Freiheit‘, sagte er in seinem Schlußwort, ‚kann keinem Objekt
abgesprochen oder verweigert werden, das geistig fortgeschritten genug
ist, den Begriff zu verstehen und den Zustand wünschenswert zu finden.‘

Das finde ich gut. So gut, dass es sogar auf uns fehlbare Menschen
zutrifft, gleich welcher Hautfarbe, Religion, Herkunft, Haarfarbe…

Andrew wird frei, er entwickelt sich weiter. Er überlebt immer
wieder eine Generation der Martins. Aber eines empfindet er immer mehr
als Manko: Er ist ein Roboter, aber eben kein Mensch. Er will ein
Mensch werden. Sein Robotergehirn läßt er unverändert, aber er erfindet
immer mehr Prothesen, die seinen Körper menschlicher machen und die
auch bei Menschen eingesetzt werden. Er klagt seine Menschenrechte beim
Obersten Gerichtshof der Welt ein.

Die Chancen stehen jedoch schlecht, und so entschliesst er sich zu einem letzten, entscheidenden Schritt:

‚Einen unsterblichen Robot tolerieren die Menschen, weil es ihnen
egal ist, wenn eine Maschine ewig lebt. Einen unsterblichen Menschen
tolerieren die Menschen jedoch nicht, weil sie selbst sterblich sind.
Aus diesem Grund lehnen sie es ab, mir Menschenrechte zuzusprechen.‘

[…]

‚Ich habe das Problem beseitigt, Chee‘, sagte Andrew. ‚Vor mehreren
Dekaden wurde mein Positronengehiern an ein quasi-organisches
Nervensystem angeschlossen. Durch eine letzte Operation wurde ein
Prozeß eingeleitet, in dessen Verlauf das Potential meiner Gehirnbahnen
langsam, sehr langsam von diesem Anschluß abgezogen wird.‘

[…]

‚Ich
habe noch ein Jahr zu leben – ungefähr. Den zweihundertsten Jahrestag
meiner Fertigstellung werde ich noch feiern können. Ich war sentimental
genug, den Chirurgen darum zu bitten.‘

Andrew wird immer schwächer, aber er schafft es noch: Der Präsident
erklärt ihn zum zweihunderjährigen Menschen. Und so stirbt er kurz
darauf glücklich und zufrieden – mit einem letzten Gedanken an Little
Miß, die junge Tochter der ersten Martins, die er aufziehen konnte.

Weitere interessante Links
zum Thema gibt es unter
del.icio.us/injelea.

Ich bin nach wie vor von dieser Geschichte begeistert. Sie ist flüssig und
voller Witz erzählt, und gleichzeitig mit einem geradezu
philosophischen Hintersinn versehen. Und ging es in der Geschichte der
Menschheit nicht immer wieder um die Freiheit?

Robert Silverbert, ebenfalls ein Altmeister des Science Fiction,
hat die Geschichte als Basis für ein ganzes Buch verwendet: Der
positronische Mann ("The Positronic Man" von 1992) ist im Heyne Verlag
mit 310 Seiten als Taschenbuch erschienen (ISBN 3-453-13696-9).

Die Geschichte wurde verfilmt. Trotz einiger
Abweichungen (z.B. einer erfundenen Liebesgeschichte zwischen Andrew
und einer der Martin-Töchter) gefällt mir dieser Film "Der 200-Jahre-Mann" mit Robin Williams als Andrew Martin und Sam Neill als Familienpatriarch total super und total unterschätzt.

Autor: Frank Hamm

Frank Hamm](https://frank-hamm.com) (* 14. April 1961 in Ingelheim am Rhein) ist ein deutscher Kommunikationsberater, Blogger und Autor. Hamm lebt in der Ortsgemeinde Selzen (Rheinhessen). Im INJELEA-Blog behandelt er seit 2005 Fachliches aus Kommunikation, Produktivität, Kollaboration und Intranets. Als Der Entspannende berichtet Hamm über Wandern, Genuss und Kultur in Deutschland. Sein gleichnamiges Blog gehört zu den etablierten deutschsprachigen Wanderblogs. Subjektives aus Raum und Zeit veröffentlicht er in seinem Kolumnen-Blog Der Schreibende. In den Sozialen Medien ist Hamm aktiv auf Twitter als @DerEntspannende und als @fwhamm, auf Facebook als Der Entspannende und auf Instagram als Der Entspannende. Nachrichten und Anfragen beantwortet Hamm per E-Mail via frank@frank-hamm.com.