Vor einigen Tagen ritt mich der Teufel: Ich nahm an einer Umfrage teil und stimmte als Belohnung einem Probeabo der ZEIT zu. Fünf Wochen lang – also 5 Ausgaben – erhalte ich totes Holz zum Lesen. Seit Jahren ist dies das erste Mal, dass ich in meine im vergangenen Jahrtausend verlorengegangen geglaubte Verhaltensweise zurückfalle, totes Holz zu lesen.
Nun gut, gelegentlich erleide ich einen Rückfall. So lese ich Artikel der Allgemeinen Zeitung, die mir meine allerbeste aller Ehefrauen am Frühstückstisch mit wohlwollenden Bemerkungen zur Lektüre überreicht. Gelegentlich hole ich mir ein Magazin wie brand eins – meistens, weil ich am Bahnhof noch einige Minuten bis zum Zug habe und im Zug dann darüber herfalle. Aber das zählt nicht, eigentlich sind das Ausnahmen und keine Rückfälle.
Und Bücher: Okay, aber das ist doch etwas anderes. Oder? Das Kindle ist zwar neumodisches Zeug, aber es ist bestimmt noch nicht soweit, es kann noch nicht alles, und es gibt noch nicht genug zur Unendlichkeit versteinerten digitalisierten Lesestoff. Daran glaube ich einfach. Kein Kindle der Welt wird Bücher ersetzen können, oder?
Jetzt aber liegt die ZEIT mit seinem Beilagen wie dem ZEIT-Magazin vor mir, und meine Hand hat bereits gezuckt und das ZEIT-Magazin aufgeschlagen. Nein, es hat nicht weh getan. Nach mehreren Tassen Kaffee zum Mutmachen hätte ich auch keinen Schmerz verspüren können. Aber es ist halt Teufelszeug. Ich fühle mich wie die ersten beiden Male, als ich mit dem Rauchen aufgehört hatte und dann nach zwei oder drei Jahren wieder die erste Zigarette inhalierte. Es schmeckte fürchterlich, und doch griff ich zur zweiten. Jetzt bin ich seit fast neun Jahren clean.
Seltsam, mich in die ersten Zeilen zu vertiefen schmeckt gar nicht so fürchterlich. Aber das ist sicherlich eine Illusion, weil mich der viele Kaffee vor dieser fürchterlichen Erfahrung bewahrt. Ein selbst verschuldeter Zufall, mehr nicht. So genieße ich diesen Zufall und lese meine erste Seite im Magazin von einem Autor namens Harald Martenstein. Das fällt mir auf: Der Name steht ganz groß über dem Text. Noch bevor ich zum Text gelange, übersteige ich die Hürde des mir riesengroß erscheinenden Schriftzuges „Martenstein“. Erst danach erfasse ich die Unter-Überschrift „entdeckt eine neue literarische Form: Das E-Mail-Duell„.
Eine ZEIT traf also ein, geschrieben von vielen anderen Autoren. Die
sind wohl berühmt, sonst wären sie nicht in der ZEIT verewigt.
Martenstein also schrieb: „Gantenbein also schrieb: ‚Ich habe Ihre Kolumne gelesen, lieber Kollege. Großartig, meine Verehrung.‘„.
Und da ich immer noch keine Schmerzen verspüre und kein fürchterliches Ich-weiß-nicht-was schmecke lese ich weiter. Ich schätze Martenstein nicht, ich kenne ihn nicht. Später werde ich den Grund dafür vermuten: Online werden Namen einfach nicht groß genug geschrieben, „Content is King„.
Martenstein jedenfalls fand, Gantenbein schreibe viel sensibler und genauer als er. Und dann schrieb er zurück:
Verehrter Herr Gantenbein, Sie sind seit Langem einer meiner Lieblingsautoren, deshalb besonders herzlichen Dank.
Damit also begann es: Das E-Mail-Duell. Wie leichtsinnig, sich einfach so auf einen Schreibwechsel einzulassen. Vielleicht dachte Martenstein, dieses Online-Medium E-Mail behüte ihn. Er hat sich wohl getäuscht. Zwei Spalten weiter lese ich, wer das E-Mail-Duell gewann. Ein fürchterliches Gemetzel.
Ich habe Ihre Kolumne gelesen, lieber Kollege. Großartig. Mein Verehrung.
Jetzt werde ich sicherheitshalber einen weiteren wunderbaren Kaffee genießen. Ich habe noch viele Zeilen in dem Magazin zu lesen. Und dann liegt da noch die ganz normale ZEIT. Sicherlich alles ganz fürchterlich. Schließlich ist es totes Holz.
Zwar werde ich das Gefühl nicht los, es sei vermessen, Martenstein als Kollegen zu bezeichnen. Bin ich doch nur ein kleiner Schreiber. Ich bin nicht berühmt, und wahrscheinlich bin ich mein einziger größter Fan. Doch ich hoffe, Martensteins Aufmerksamkeit zu entgehen. Schließlich schreibe ich hier in einem Blog, das ist ein Online-Medium, und die Namen werden klein geschrieben. Das zählt nicht.
Ich könnte noch etwas und noch etwas mehr schreiben. Doch verzeihen Sie mir, dass ich hier jetzt abbreche: Ich hole mir meinen Kaffee zum Genießen. Und dann…
Kommentare sind geschlossen.