Seit über 20 Jahren benutze ich Email. Streng genommen sogar noch um einiges länger, wenn ich die Compuserve- oder Fidonet-Nachrichten mitrechne. Damals bereits handelte es sich um “Elektronische Post”, nur dass die Übermittlung und Speicherung der elektronischen Post auf proprietären Formaten basierten. Seit Jahrzehnten also konnten sich Menschen daran gewöhnen, ein Werkzeug in allen (un)möglichen Variationen zu benutzen. Und sie tun es ausgiebig. Ich tue es. Und trotz allen Schwächen mag ich Email. Manchmal zumindest.
Email besteht im Wesentlichen aus den Protokollen Simple Mail Transfer Protocol (SMTP) zum Versenden von Nachrichten sowie Post Office Protocol (POP) und Internet Message Access Protocol (IMAP) zum Abrufen von Nachrichten. Mehr ist Email nicht. Im Grunde ein minimalistisches System.
Email ist leider jedoch so simpel, dass jeder es benutzen kann. Mit, ohne oder mit bescheuertem Betreff. Mit, ohne oder mit bescheuerten CC-Empfängern (okay, eigentlich ist der Absender dann bescheuert). Mit, ohne oder mit bescheuertem Inhalt. Mit, ohne oder mit bescheuerten Anhängen. Mit, ohne oder mit bescheuerter Signatur mit teilweise mehr als 40 Zeilen, davon 30 für Disclaimer, die rechtlich und nach gesundem Menschenverstand alle total bescheuert und rechtlich unwirksam sind. Als Ersatz für synchrones Messaging. Als Problemablademedium. Privat oder beruflich. Ich hasse Email sehr oft in dem meist vergeblichen Versuch, die Abneigung vor dem Verhalten des Absenders auf das Medium zu transferieren. Und das Allerschlimmste ist, dass ich mich manchmal beim Bescheuertsein-Mitmachen ertappe.
Aber Email ist halt so einfach, dass es sogar am Strand funktioniert. Selbst wenn ich keinen Empfang habe, so wird die Nachricht später automatisch versendet. Ich hätte diesen Artikel bis auf das Titelfoto eben an diesem Strand auf Maui in Hawai’i als Email erstellen und an mein Blog versenden können (anstelle abends auf der Couch in der Bed & Breakfast-Unterkunft). Ich kann mit einer Email Aufgaben in allen möglichen Task Management Suites wie Asana oder Podio erzeugen. Ich kann eine Notiz in Systemen wie Evernote erzeugen. Umgekehrt können mir Social Software, ERP-Systeme oder Collaboration Software Nachrichten schicken. Email hat jeder, Email funktioniert einfach. Das ist bei vielen anderen Systemen nicht der Fall. Und nicht jeder hat Asana oder Podio oder Azendoo oder Facebook oder Whatsapp – auch wenn sich das irgendwann ändern könnte. Email funktioniert deswegen, weil es aus offenen Standards besteht. Sogar das Empfangen und Versenden verschlüsselter Nachrichten funktioniert damit – zumindest theoretisch.
Muss also das Rad neu erfunden werden?
Wie funktioniert Email bei mir?
- Ich habe seit längerem einen Google Business Account. Dort landen alle Emails, die an meine Emailadressen gesendet werden (entweder durch Umleitung oder durch automatische Abholung durch Google Mail). Damit bräuchte ich eigentlich nur ein Mailsysteme zu benutzen.
- In Google Mail kann ich Nachrichten mehreren “Labels” zuordnen. Die Labels können beispielsweise die Bedeutung verschiedener Prioritäten, Kunden, Aufträge, Projekte haben. Somit könnte ich einen Nachrichtenstrang einem Projekt und mehreren Kunden (bei einem Gemeinschaftsprojekt) zuordnen. Damit bin ich nicht an eine hierarchische Ordnerstruktur gebunden.
- Tatsächlich benutze ich die Labels in Google Mail fast nur für ein minimalistisches Aufgabenmanagement. Wenn ich eine Nachricht direkt nach Abarbeitung meines Eingangsfaches oder im Laufe des Tages bearbeiten will, dann nehme ich ein bestimmtes Label dafür (z.B. “!Action”).
- Email benutze ich nicht für ein Aufgabenmanagement. Dafür habe ich Tools wie Asana, Podio, Toodledo, Todoist (beispielsweise weil ein Kunde es benutzt). Beispielsweise leite ich eine Email an ein Aufgabenmanagement-Tool weiter. Die Bearbeitung und Erledigung erfolgt dann im Aufgaben-Tool. Manchmal schicke ich die Email an Evernote und füge den Notizlink in meinem Aufgaben-Tool zur Aufgabe hinzu.
- Wenn ich eine Nachricht benötige, dann suche ich danach. Mit Ordnern arbeite ich gar nicht mehr, mit Labels nur selten. Ich will Nachrichten nicht organisieren sondern finden. Die Suche in Google Mail ist nach wie vor sehr schnell und funktioniert sehr gut zum Finden von Nachrichten. Der Nachteil: Im Browser muss ich immer online sein.
- Abonnements versuche ich in meinem RSS-Reader zu halten. Allerdings gibt es einige Abonnements (beispielsweise Newsletter), die es nicht als RSS gibt. Die filtere ich mit Regeln und verpasse ihnen ein “Newsletter”-Label. Die Newsletter landen erst gar nicht im Posteingang und werden von mir nur gelegentlich überflogen. Newsletter von diversen Diensten kündige ich normalerweise umgehend (“We are thrilled/excited to announce our new product!”).
- Manchmal lassen sich Newsletter, Sales Promotions irgendwie nicht abstellen. Warum sollte ich beispielsweise einen ungewollten und nicht bestellten Newsletter mit einer Email an eine andere Adresse mit einem bestimmten Betreff abbestellen versuchen zu wollen. Meistens klappt das sowieso nicht. Inzwischen bin ich auch in unzähligen “PResseverteilern” und erhalte zahlreiche Pressemitteilungen. Die lassen sich grundsätzlich nicht abbestellen außer durch eine persönliche Email oder einen Anruf. Das k***t mich an. Ich sehe nicht ein, dass ich den Aufwand haben soll, damit mich andere nicht mehr von mir ungewollt anschreien. In diesen Fällen kommt mittlerweile ein rigoroser Löschfilter zum Einsatz.
- Newsletter haben sowieso nur selten einen Nutzen für mich. Wenn eine Information einen Nutzen für mich hat, dann finde ich sie durch meine Suchabfragen, die per RSS in meinem RSS-Reader landen, oder ich finde sie (z.B. durch Tools) in meinem Social Graph.
- Benachrichtigungen (beispielsweise von Facebook, Twitter) landen via Filter ebenfalls außerhalb des Posteingangs in einem Label. Dabei versuche ich grundsätzlich, möglichst viele Benachrichtigungen abzustellen. So wie die meisten von Xing, die mich eh nur in den Browser nach Xing zwingen wollen und erst einmal fast keinen Informationsgehalt haben.
- Überhaupt arbeite ich ausgiebig mit Filterregeln in Google Mail. Das Schöne dabei ist unter anderem, dass die Filter alle serverbasiert und unabhängig vom Client oder Browser angewendet werden.
- Außer Benachrichtigungsemails lösche keine Emails. Warum sollte ich jedesmal nachdenken, ob oder ob nicht ich die Nachricht noch einmal benötige? Im Zweifelsfall habe ich sie dann gelöscht und brauche sie nach ein paar Wochen oder Monaten doch noch.
- Im Einzelfall bin ich oft auf eine Suche angewiesen, um alle notwendigen Informationen zur Aufgabe zu finden und beispielsweise bei der Erledigung oder bei einem Telefonat zur Verfügung zu haben.
- Wenn ich etwas suche, dann ist es mir möglicherweise nicht klar beziehungsweise weiß ich nicht, wo die Information ist. Deswegen habe ich gerne eine Suche, die verschiedene “Töpfe” nach der Information durchsucht. Also Google Mail, Filesystem, Evernote, Simplenote, Asana, Toodledo, Podio… So eine universelle Suche gibt es nicht. Somit komme ich von den Silos nicht los.
- Alternativ kann ich für Email einen Emailclient wie Thunderbird mit IMAP benutzen. Dann kann ich meistens zumindest Email, Filesystem und Kontakte gleichzeitig/universell durchsuchen. Ich habe alle meine Emails seit Jahren auf dem Server gespeichert. Speicherplatz spielt auch da keine Rolle mehr. Mit IMAP habe ich einen lokalen “Nachrichten-Cache”, der außerdem separat gesichert wird.
- Im Client (und nur da) kann ich PGP-Verschlüsselung benutzen. Dann verliere ich aber Vorteile des “nativen” Emailmanagements von Google Mail im Browser.
- Je nach Auftraggeber habe ich dort ebenfalls einen Mailaccount. Damit habe ich weitere Systeme, die ich aufrufen/öffnen muss und gegebenenfalls durchsuchen muss. Weitere Silos also. Zusätzlich habe ich inzwischen beim Auftraggeber manchmal ein weiteres Collaborationtool. Weitere Silos. In denen findet dann auch die Kommunikation statt – leider dann auch wieder oft nur teilweise, so dass weitere Teile wieder in der Email landen. Natürlich abwechselnd im Account beim Autraggeber und in meinem eigenen Account.
Funktioniert Email dann überhaupt?
Ja, Email funktioniert. Aber ich muss Zeit aufwenden, um Email einigermaßen effizient einzusetzen. Manche Schwachstellen wie die nicht vorhandene universelle Suche ist manchmal nur lästig, manchmal kostet sie richtig viel Zeit. Seit letztem Jahr bin ich selbstständig und arbeite ich mit verschiedenen Auftraggebern. Das wird dann so richtig aufwändig, weil ich unter Umständen zwischen verschiedenen Emaildiensten oder Clients hin- und herschwenken muss.
Ich muss die Arbeit leisten, die gar nicht der eigentlichen Arbeit entspricht.
Mein Email-Wunschzettel
Das Rad muss nicht neu erfunden werden. Aber einige Punkte könnten rund um Email uns die Email leichter machen.
Ich wünsche mir, dass Emaildienste eine Such-API anbieten. Ich würde mir wiederum einen Suchanbieter auswählen, der alle meine Dienste durchsuchen kann. Außerdem wünsche ich mir einen Meta-Collaboration-Dienst, der bestimmte Grundfunktionen anderer Collaborationdienste (beispielsweise Asana, Bitrix24) per API einbindet.
Im Idealfall hätte ich dann ein Unified Dashboard, das im Hintergrund auf verschiedene Emaildienste oder Collaborationdienste zugreift und mir Nachrichten (Email, Messages) sowie Aufgaben daraus aufbereitet. Bei den Fileservices wie Google Drive, Dropbox, Box funktioniert das bei mancher Collaboration Software schon recht gut. Auch beim Kalender klappt dies manchmal schon recht gut, dann aber meistens beschränkt auf den Google Kalender.
Nachrichten, Aufgaben, Dateien, Kalender gehören auf ein universelles Dashboard. Dazu noch kontextorientierte Informationen zu Personen, Inhalten, Vorgängen aus meinen Inhalten und denen des Webs und denen meines Auftraggebers (mit Berücksichtigung der vergebenen Rechte). Zu den Kontextinformationen gehören die des Social Webs einfach dazu. Für Google Mail beispielsweise gibt es Rapportive, das mir zum Absender einer Mail seine Profile und aktuellen Statusupdates ausweist.
Außerdem wünsche ich mir einen kostengünstigen virtuellen Assistenten, der selbstständig das Filtern, Priorisieren, Verschlagworten und Zuordnen von Nachrichten, Aufgaben, Terminen und Dateien übernimmt. Der Assistent soll mit mir per Text und Audio kommunizieren können und mir mir selbstständig Vorschläge machen (“Es dürfte wieder Zeit für einen Haarschnitt sein. Soll ich für Freitag Nachmittag um 15 Uhr einen Termin vereinbaren?”).
Ob ich keine Angst habe, dass mein virtueller Assistent etwas übersieht? Sicherlich, aber das ist ein Grundproblem beim Führen und Delegieren. Unabhängig davon, ob der virtuelle Assistent ein Mensch, ein Dr. Watson (von IBM) oder ein Andrew Martin ist. Doch realistisch gesehen, ist der Mensch mit solchen Aufgaben zukünftig unterfordert und vor Allem nicht wettbewerbsfähig.
Blogparade
Mein Wunschzettel ist ein Beitrag zur Blogparade von Stefan Pfeiffer Der tägliche E-Mail-Schmerz und was erwarte ich von Mail der Zukunft?. Sie können noch bis zum 30. Juni 2014 an der Blogparade teilnehmen. Die Teilnahmeregeln gibt es in Stefan Pfeiffers Artikel.
P.S. Ich hätte diesen Artikel tatsächlich am Strand per Email erstellen können. Aber nicht immer und zu jeder Zeit ist Email das richtige Medium. Manchmal ist es wichtiger und richtiger, keine Email zu schreiben. Und anstelle dessen beispielsweise den Sonnenuntergang in Kihei in Hawai’i zu genießen. Auch während meines Urlaubs können Sie hier kommentieren – oder mir eine Email senden :-)