Reich-Ranicki regt sich auf und weist den Deutschen Fernsehpreis zurück. Und die Republik regt sich auf:
- Die einen regen sich darüber auf, dass er sich über den Deutschen Fernsehpreis und eigentlich über das deutsche Fernsehen aufregt und dazu die Bühne dessen, was er so verachtet, missbraucht. Dass er so tut, als hätte er nicht absehen können, was auf ihn zukam.
- Die anderen regen sich darüber auf, dass die einen sich darüber aufregen, dass Reich-Ranicki konsequenterweise die einzig richtige Bühne benutzt, die in vielen Bevölkerungsteilen der deutschen Republik überhaupt noch zu einer Reaktion führt: Das Fernsehen.
Thomas Knüwer wählt eine ausgewogene Sichtweise (das kann er tatsächlich). Vieles äußert er, dem ich zustimme. Doch auch er spricht nur über das eine Wasserglas: Das Fernsehen.
Das vermisste Wasserglas
Ich kann es inzwischen nicht mehr hören: "Die Qualität des Fernsehens und im Fernsehen und die Selbstbeweihräucherung desselbigen sind schlecht, mies und unter aller S***. Und schuld sind das Fernsehen, die Sender, die Anstalten, die Produzenten, die Macher!"
Reich-Ranicki, Knüwer und die anderen Kritiker beziehen sich auf "das Fernsehen" und seine miese Qualität. Doch wieso kommt es zu dieser Nicht-Qualität? Haben die Macher sich nur deswegen dazu entschlossen, weil sie mit dem falschen Fuß aufstanden? Weil es ihnen so gefiel? Nein, sie folgen den Fußabdrücken der Masse, die den Götzen Fernsehen anbetet und nach immer mehr und immer einfacheren heiligen Sprüchen und Signalen verlangt. Die Masse entscheidet mit ihrer "Quote" darüber was "gemacht" und "gebracht" wird.
Die Macher haben die Mechanismen der Quote erkannt und benutzen sie, weil sie zu Erfolg führt. Die Macher verführen das "dumme Quotenvolk" zu immer flacheren Angeboten, zu immer mehr Nicht-Qualität. Aber nicht, weil es ihnen so gefällt. Sie verführen und peitschen das Quotenvolk zu Dokusoaps, Chartshows und immer flacherem Fernsehen mit immer weniger Weitsicht, weil es funktioniert und das Quotenvolk sich verführen und peitschen lässt! Und das Quotenvolk lacht und johlt dabei!
Da sollen die Öffentlich-Rechtlichen eine "Grundversorgung" sicherstellen – doch gemessen werden sie nicht an der Qualität sondern an der Quote. Kein Wunder, dass auch das Öffentlich-Rechtliche nicht mehr das ist, was vielleicht einmal war. Die Privaten haben die Fesseln der Qualität schon lange abgestreift. Und das Fernsehen funktioniert ohne diese Fesseln. Nicht effektiv, aber sehr effizient. Jeder spricht über das Fernsehen, das an allem Schuld habe. Niemand spricht über das Quotenvolk, das deutsche Fernsehvolk.
Das deutsche Fernsehvolk bekommt das Fernsehen, das es selbst wählt
Reich-Ranicki entfachte einen Sturm im Wasserglas. Das andere Wasserglas, das deutsche Fernsehvolk, und den Sturm darin, den habe ich vermisst. Aber vielleicht hat Reich-Ranicki genau das erkannt: Das deutsche Fernsehvolk hat gewählt und dagegen kommt er nicht (mehr) an.
Reich-Ranicki im Video:
Hintergrund: "ZEIT-ONLINE – "Eine Sternstunde des Fernsehens"