Shel Holtz beschreibt in seinem Blog "a shel of my former self", warum Unternehmen RSS-Feeds mit ihrer Firewall blockieren ("Companies blocking employees from reading RSS feeds"). Diese Gründe sieht er im Wesentlichen:
- Sorge um Bandbreiten
Insbesondere .mp3-Datein, Podcasts, Videos beanspruchen immer mehr Bandbreite. - Bedenken rund um Produktivität
Mitarbeiter könnten ja ihre Zeit mit allem Möglichen vertreiben und nicht mit Arbeit
In case you hadn’t heard about it, some companies have begun blocking RSS feeds at the firewall. The rationale for this short-sighted, counterproductive bit of paranoid stupidity ranges from bandwidth worries to productivity concerns.
Produktivität? Ist das wirklich die Zeit, die ein Mitarbeiter im Büro sitzt und keine RSS-Feeds liest? Die Zahl der "konventionellen Arbeiter", die Stunde für Stunde leicht kontrollierbare mechanische Arbeiten verrichten, ist heutzutage eher begrenzt. Und schon in den Siebzigern war nicht die Arbeitsstunde das Maß für die Produktivität, sondern die Anzahl der fertigen Teile innerhalb einer vorgegebenen Zeiteinheit (die bestimmte Kosten hatte):
The measure of productivity is how much work is getting
done, not how much time an employee spends on non-work-related
activities. Employees will stay late, come in early, or take work home.
They won’t simply let it slide. Nobody wants to lose his job so he can
check sports scores on ESPN.
Diese Produktivität sollte also nicht das Problem sein. Die
Unternehmen sollten lieber daran interessiert sein, die Zeit (welche
die Mitarbeiter für Informationsbeschaffung benötigen) zu minimieren
und dadurch deren Produktivität zu erhöhen. Dafür ist RSS doch auch da.
Ich nenne es schlicht Zensur, wenn Unternehmen RSS-Feeds blockieren. Denn sie werden nicht die RSS-Feeds wegen RSS blockieren, sondern wegen der darin enthaltenen Informationen. Und RSS-Feeds
werden nicht das einzige sein, was sie blockieren. Es gibt wohl Unternehmen, die meinen, sie könnten mit ihrer Firewall
genau festlegen, was die Mitarbeiter mit ihrem Browser (oder anderen
Programmen) sehen können. Schlüsselwörter oder Adressen sorgen dafür,
dass Inhalte blockiert werden.
Vor einigen Jahren war ich in einem Unternehmen des Gesundheitswesens.
"Sex" war ein wichtiges Schlüsselwort für das Blockieren von Seiten.
Pech nur, dass dieses Wort im Englischen eine ganz andere Bedeutung hat
("Geschlecht"). Medizinische Informationen sind nun einmal oft
geschlechtsspezifisch. Die Mediziner waren sofort von der Firewall
begeistert.
If somebody calculated the benefits of letting employees
watch/listen to streams or download MP3s, a business case could made
for (gasp) increasing bandwidth. But many companies haven’t figured out
yet that today’s web isn’t the same web around which they built their
in-house capabilities back in 1999 or earlier.
Klingt nach Unternehmen, die ihre Vorstände immer noch mit einem
VW-Käfer zu ihren Terminen fahren lassen. Das tun sie doch, oder?
Wenn Unternehmen zensieren, dann tun sie es vielleicht eher
deswegen, weil sie nicht wollen, dass "ihre" Mitarbeiter hören oder
lesen, was andere über "ihr" Unternehmen sagen oder schreiben. Wie
kurzsichtig.
Private und arbeitsbezogene Nutzung – egal ob am Arbeitsplatz oder
woanders – vernetzen immer mehr. Mitarbeiter werden immer mitbekommen,
wenn etwas Schlechtes oder etwas Gutes über ihr Unternehmen geäußert
wird. Ein Mitarbeiter wird etwas in einem Podcast hören oder über RSS
lesen (das kann man so wunderbar abonnieren, beispielsweise mit
Suchworten bei Yahoo! Nachrichten). Er wird es entweder als Link an
sich im Büro senden. Oder gleich als Email mit Volltext-Kopie. Zur Not
tut es auch eine gedruckte Seite, die durch den Kopierer gejagt wird
(die arme Seite…). Wenn es wichtig ist, so wissen es nur wenig später
fast alle Mitarbeiter im Unternehmen.
Wie kommen Unternehmen – also Vorstände, Leitende Angestellte,
Manager etc. – auf die Idee, dass sie zensieren könnten, was eh jeder
weiß? Oder auf die Idee, dass Arbeits-Zeit das Maß für Produktivität
ist? Wann haben solche Manager eigentlich die letzte
Management-Vorlesung besucht und vom St. Galler Management-Modell gehört?
Shel sieht schon mit Spannung die Zeit kommen, wenn IE7
und Vista mit ihren eingebauten RSS-Möglichkeiten in den vielen (m.E. microsoftlastigen)
Unternehmen eingeführt werden. Ich auch.
Noch viel gespannter sehe ich auf die technische Entwicklung. In
wenigen Jahren wird jeder ein mobiles Endgerät haben, mit dem er bei
Bedarf ständig und mit vertretbaren Kosten jederzeit und überall online
sein wird. Ansätze gibt es bereits jetzt: UMTS-PDAs und UMTS-Notebooks
(beides noch zu teuer), öffentliche WLANs, deren Reichweiten bis in
Unternehmensgebäude hinein reichen (die Glücklichen dort).
Bald werden die Geräte gaaaanz klein und handy sein. Es wird nicht
mehr erkennbar sein, ob ein Mitarbeiter ein Hörgerät oder einen
Internet-Anschluß hat.
Was dann, liebe VW-Käfer-fahrende Vorstände und Manager?